Inklusionstheater ist Theater für ein vielfältiges, neugieriges und solidarisches Miteinander in unserem Land. Inklusionstheater lebt durch die Unterschiedlichkeit seiner TeilnehmerInnen und schafft Theateraufführungen, die diese Vielfalt als großen Reichtum „auf die Bretter” bringen und erlebbar machen.
Die Wirtschaft hat natürlich schon lange entdeckt, dass Teams nach sog. „Diversity”-Prinzipien innovativer, produktiver und schneller arbeiten, als homogene Gruppen. Inklusionstheater zieht aus der Vielfalt der Beteiligten aber mehr als bloße Gewinnmaximierung: Beglückend sind die magischen Probenmomente, die so viel Energie freisetzen, dass Utopie aufblitzt.
Inklusionstheater arbeitet für den gesellschaftlichen Klimawandel, will Modell sein, wie Inklusion auch im Großen funktionieren kann.
Aber machen wir uns nichts vor: Jedes Projekt ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Eigentlich kann es nicht genug Initiativen für Inklusionstheater geben!
Inklusionstheater gründen, bedeutet zuallererst, Strukturen zu schaffen: finanziell, räumlich und personell. Dann muss man Menschen für Theaterideen begeistern und TeilnehmerInnen gewinnen, Menschen, die aus möglichst unterschiedlichen Lebenswelten kommen und sich erst beim Theaterspielen kennenlernen: behindert und nicht behindert, alt und jung, geflüchtet und „eingeboren”, stumm und sprechend, „stino” und „queer” - wer immer kommen will.
Eingeladen wird zu einer spannenden Reise mit unbekanntem Ziel und mit den Versprechen, dass unterwegs alle auf ihre Kosten kommen und, dass zum Abschluss eine Premiere stattfindet und sich das Theater und die Gemeinschaft mit einem großen Fest feiern.
Schnell muss eine Vision entwickelt werden, wo die gemeinsame Reise hingehen soll. Gibt es Themen, die bei den ersten Zusammenkünften „in der Luft” liegen? Was bringen die SpielerInnen mit? Von ihren Fähigkeiten, Wünschen und Vorlieben - sowohl auf kultureller, als auch auf intellektueller, sprachlicher und körperlicher Ebene - soll möglichst viel einfließen in die gemeinsame Probenarbeit.
Alle müssen voll auf ihre Kosten kommen. Wenn es nicht gelingt, jemanden in seiner Persönlichkeit zu erreichen und herauszufordern, wird man sie/ihn nicht gewinnen können. Wer aber dabei ist, findet in der Gemeinschaft und im Theaterstück schnell ihren/seinen Platz, wird unverzichtbar, ohne sie/ihn geht es bald nicht mehr.
Große Achtsamkeit im Umgang miteinander und im gemeinsamen Spiel muss die Zusammenarbeit prägen. Dabei geht es aber nicht um einen „Kuschelkurs”. Theater bietet sich auch an, um Konflikte - natürlich auch die eigenen! - mit theatralischen Mitteln zu thematisieren. Da darf‘s auch mal richtig „zur Sache gehen”. Theater lebt davon, dass nicht alle die gleiche Rolle spielen, die gleiche Meinung vertreten.
Der Fantasie und den Wahlmöglichkeiten für Themen, Spielweisen und Theaterrollen sind keine Grenzen gesetzt: Schreibt man ein eigenes Theaterstück, bedient man sich lieber bei der klassischen Theaterliteratur oder gibt man vielleicht Bewegung und Tanz den Vorzug vor den Worten?
Einzige Bedingung ist, dass die SpielerInnen immer im Mittelpunkt aller Entscheidungen stehen. Der gewählte Stoff - wie auch immer geartet - muss „zünden”, alle Beteiligten sollen das Gefühl haben: das hat mit mir zu tun.
Eine gute Portion Stressresistenz, hilfsbereite abenteuerlustige Freunde und eine gute Souffleuse sind unschätzbare Wegbegleiter für ein Inklusionstheater-Projekt, das mit „kleinen Katastrophen” immer für Überraschungen gut ist: Plötzlich brechen mühsam gezimmerte Strukturen weg oder TeilnehmerInnen springen ab, weil das Leben die Richtung ändert und/oder jemand ist richtig krank. Plötzlich sind schnelle Entscheidungen gefragt, um das Projekt zu retten.
Diese ständige latente Unberechenbarkeit hat auch ihr Gutes: Sie unterstützt ein Arbeitsklima der „Anti-Sicherheit”. Zentrale Aufgabe gerade bei der Arbeit mit nichtprofessionellen SpielerInnen ist, Routine (tödlich für lebendiges Theater) aus den Proben, aus dem Spiel und aus den Aufführungen zu verbannen. Mit der Haltung, „das war gut, das spielen wir jetzt immer so”, ist man auf dem Holzweg. SpielerInnen, die sich in Sicherheit wiegen, sind schlauer als ihre Rollen, spielen zu Beginn schon das Ende mit. So kann man sein Publikum nicht überraschen und in den Bann schlagen, Langeweile ist vorprogrammiert.
Die Freude am gemeinschaftlichen Arbeiten, ein Arbeitsprozess, der nie innehält und ständig neue Aufgaben in den Fokus rückt - um der Routine zu entgehen - Theater, das von Menschen erzählt, Inklusion lebt und thematisiert, schafft Theatererlebnisse, die bei den Beteiligten und in der Öffentlichkeit Spuren hinterlassen.
So wird Inklusionstheater wirkungsvoll seiner Vorbildfunktion gerecht.
Axel Tröger